Operative Eingriffe unter Antikoagulation

Das Blutungsrisiko unter Antikoagulation hängt von der Art der Antikoagulation sowie dem Eingriff ab. Es ist jeweils das Blutungsrisiko gegen das Risiko der Unterbrechung der Antikoagulation (z.B. Thrombembolie) abzuwägen. Entscheidend ist auch, ob eine prohylaktische Indikation (z.B. Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmern, schwere Herzinuffizienz, künstliche Herzklappe) oder eine therapeutische Indikation (z.B. frische Beinvenenthrombose oder Lungenembolie) zur Antikoagulation geführt hat. Zur Reduktion dieses Risikos wird häufig ein Bridging verwendet.

 

Risiken einer Unterbrechung der Antikoagulation

  • TVT und Lungenembolie: Risiko ist abhängig vom zeitlichen Abstand zum Erstereignis und von der Thromboseursache: bei hohem Thromboserisiko z.B. aufgrund einer APC-Resistenz beträgt das jährliche Rezidivrisiko ohne Antikoagulation ca. 15 % pro Jahr. Im 1. Monat nach Thrombose beträgt das Rezidivrisiko ca. 50 %, in en folgenden Monaten sinkt dieses Risiko auf ca. 10 %, nach 3 Monaten auf ca. 5 %.
  • Arterielle Thrombembolie: nach einem aktuen Ereignis (z.B. Schlaganfall) beträgt das Risiko im ersten Monat ca. 0,5 % pro Tag im ersten Monat. Tritt ein erneutes thrombembolisches Ereignis ein, ist dieses in ca. 20 % tödlich und in ca. 40 % mit einer Defektheilung (z.B. Hemiparese) verbunden. Die Risikostratifizierung erfolgt hier mittels ChadVas-Score. Unglücklicherweise führen die Risikofaktoren für ein erhöhtes Schlaganfallrisiko teilweise auch zu einem erhöhten Blutungsrisiko (HasBled-Score). Ein deutlich erhöhtes arterielles Thrombembolie-Risiko besteht auch bei schlechter LV-Funktion und Herzwandaneurysem, insbesondere wenn echokardiographisch Thromben nachgewiesen sind.
  • Künstliche Herzklappen: aufgrund des hohen Blutflusses ist das Thrombembolierisiko bei Aortenklappen deutlich niedriger als bei Mitralklappen. Ohne Antikoagulation beträgt das jährliche Thrombembolierisiko bei Aortenklappenersatz ca. 4 %.
     

Blutungsrisiko in Abhängigkeit vom Eingriff

  • Eingriffe mit niedrigem Blutungsrisiko: z.B. Arthroskopie, Schrittmacherimplantation, Katarakt-OP, Eingriffe an der Haut, Koronarangiographie, ambulante Zahnoperationen (selbst bei Zahnextraktion ist das Blutungsrisiko minimal und durch Lokaltherapie beherrschbar). Bei diesen Eingriffen kann eine Antioagulation häufig fortgesetzt werden, ggf. ist eine Dosisreduktion möglich (z.B. Ziel INR < 2). Ebenso sind diagnostische Gastro- bzw. Koloskopien mit einem niedrigem Risiko verbunden.
  • Eingriffe mit hohem Blutungsrisiko: Herzoperationen, Eingriffe an der Bauchaorta, viele interventionelle gastroenterologische Eingriffe (z.B. Polypektomie, Papillotomie). Hohes Risiko auch bei Eingriffen am Spinalkanal (inklusive Spinalanästhesie).
     

Art der Antikoagulation

  • Marcumar: Bei akuter OP-Indikation (Eingriff innerhalb von Stunden) und einem Eingriff mit hohem Blutungsrisiko PPSB oder FFP, ggf. zusätzlich Vitamin K i.v. Bei OP am Folgetag Vitamin K i.v. Bei geplanter OP mit hohem Risiko Bridging. Bei jeder abrupten Beendigung einer Marcumarisierung besteht das Risiko der Hyperkoagulabilität, ggf. Bridging z.B. mit Heparin bis INR > 2. (Cave: keine randomisierte Studie!). Zwei nichtrandomisierte Studien weisen auf ein eher niedriges Thrombembolierisiko ohne Bridging hin Wysokinski 2008 [PubMed 18533080], Garcia 2008 [PubMed 18195197].
  • Heparine: aufgrund der kurzen Halbwertzeit von unfraktioniertem Heparin (45 Minuten) wird eine Unterbrechung der Heparingabe ca. 4 h vor dem geplanten Eingriff (also > 5 Halbwertzeiten) empfohlen. Die Halbwertzeit der fraktionierten Heparine variiert, auch hier sollten die LMWH 5 HWZ vor dem Eingriff abgestzt werden (in der Regel also ca. 24 h vor dem Eingriff). Wiederaufnahme der Heparintherapie bei niedrigem Blutungsrisiko nach 24 h, bei höherem Risiko 48–72 h post-op, jeweils in Abhängigkeit vom individuellen Thrombembolierisiko.
  • Dabigatran: stärkste Wirkung nach ca. 2–3 h, HWZ ca. 12–14 h, bei Niereninsuffienz bis 28 h. Bei normaler Nierenfunktion Unterbrechung der Dabigatrangabe 1 Tag (Standardrisiko) bzw. 2 Tage (Hochrisiko) vor dem Eingriff, bei Niereninsuff. Bis zu 4 Tagen. Längere Unterbrechung bei Hochrisikoeingriffen wie z.B. geplanter Spinalanästhesie
  • Rivaroxaban: Spitzenspiegel nach 3 h. Bei der kurzen Halbwertzeit Eingriffe 24 h nach letzter Einnahme i.d.R. möglich
  • Plättchenaggregationshemmung: Risiko in Abhängigkeit von der verwendeten Substanz (Plättchenaggregationshemmer)
  • Triple-Therapie: hohes Blutungsrisiko! (Triple-Therapie)
     

Zeitintervalle gerinnungsaktiver Medikamente

Tabellarische Übersicht: Zeitintervalle für präoperatives Absetzen, vor rückenmarksnaher Punktion bzw. Katheterentfernung [PDF]

Quelle: Prof. Dr. J. Heine, Chefarzt der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin, Ärztlicher Direktor Asklepios Harzkliniken GmbH, Goslar.

 

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